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Über Chinas Kunstszene

Interview | i-D

Im Gespräch mit Antonie Angerer und Anna Eschbach, die vor zwei Jahren nach Peking ausgewandert sind, um dort die Kunstwelt auf den Kopf zu stellen.

Hinter einer grauen Zielsteinmauer in der Pekinger Oststadt liegt der i:project space. Im Innenhof leuchtet das Logo mit den beiden Dreiecken. Dahinter befinden sich ein Stadtgarten, ein Ausstellungsraum und die Wohnräume von Antonie Angerer und Anna Eschbach. Vor zwei Jahren gingen sie nach China. Zunächst nur für ein Projekt, aus dem mittlerweile ein beständiger Kunstraum im Herzen des BanQiao Hutongs geworden ist. Die Kunsthistorikerinnen gründeten den i:project space als Plattform für internationalen Kunstdiskurs, in den sie immer wieder Gäste für Künstlerresidenzen einladen. Durch die Lage des Spaces bringen sie Kunst in direkten Kontakt mit dem täglichen Leben. Ihr Projektraum ist eine nicht-kommerzielle Galerie, in dem sie Ausstellung kuratieren, aber nicht von Kunstverkäufen leben. Nebenbei haben sie letztes Jahr das erste Projektraumfestival der Stadt initiiert und werden im Sommersemester an der Universität Tübingen unterrichten. Wir haben sie in Peking zum Gespräch getroffen.

 

Anna, Antonie, warum seid ihr nach China gegangen?

Antonie: Ich bin 2007 das erste Mal hier gewesen und war seitdem immer wieder. Anna, die ich aus dem Studium kannte, hat mich besucht, als ich zur Shanghai Biennale 2000 geforscht habe.

Anna: Ich bin als Touristin gekommen und war fasziniert, dass China so anders war, als ich es mir vorgestellt hatte. Es war so viel mehr Energie zu spüren als in Deutschland.

 

Was ist so anders im Gegensatz zu Deutschland?

Antonie: Die Szene ist offen und dynamisch. Ab dem Zeitpunkt, als wir unsere Plattform geöffnet haben, kamen Leute mit Projekten. Man hat gemerkt, dass viele einen Raum wollten, der ein bisschen anders tickt.

 

Zu den jungen chinesischen Künstlern—unterscheidet sich die Zusammenarbeit?

Anna: Viele sind nicht daran gewöhnt, gefragt zu werden, wie ihre Kunstwerke gezeigt werden sollen. Es ist oft so, dass sie ihre Arbeit am Eingang abstellen. Der Kurator schafft dann den Kontext. Doch wir überlegen zusammen. Bislang war es eine super Zusammenarbeit, doch für manche ein anfänglicher Schock.

 

Wie steht es um Starallüren?

Anna: Sie sind furchtbar nett und wohl erzogen. Ich glaube, es hängt damit zusammen, dass der Mythos vom leidenden, verdrogten Künstler hier nicht so kultiviert wird. Man lebt mehr in bürgerlichen Strukturen: Man hat Kinder und verdient regelmäßig Geld. Ich mag das ganz gerne.

 

Und wie ist das bei euren Gästen?

Anna: Wir haben den direkten Kontrast, weil wir auch mit internationalen Künstlern arbeiten. Ich will nicht sagen, dass sie ständig diesen Stereotypen raushängen lassen, aber du merkst, dass das Künstlersein mehr in den Mittelpunkt gestellt wird. Bei den internationalen Künstlern hat man das Gefühl, dass alles Kunst ist. Und, dass man nie aus diesem Kreis austreten darf.

Ende August initiiert ihr zum zweiten Mal ein Projektraumfestival in Peking. Warum ist es wichtig, junge Kunsträume miteinander zu vernetzen?

Antonie: Das Schöne am ersten Festival war, dass sich viele Spaces gefunden haben und neue Projekte entstanden sind. Wir wollen die Orte transparenter machen, sodass Leute auch sehen, was hier alles passiert.

 

Ihr lebt in einem Hutong in der alten Oststadt. Was ist das besondere hier einen Raum zu haben?

Antonie: Für uns ist Kunst etwas, dass mit Leben, Alltag und Stadt zu tun hat, deshalb war es uns wichtig, dass wir im Zentrum gründen. Für die Residency-Künstler ist es hier einfacher, unabhängig zu sein. Man kann sich aufs Rad schwingen und die Gegend erkunden. Dagegen sind die Atelier- und Kunstgegenden recht ab vom Schuss. Kunst findet vor allem in Kunstvierteln—in einem abgeschlossenen Bereich—statt.

 

Heute gibt es an die 30 Projekträume in Peking, wie hat sich das in den letzten Jahren entwickelt?

Anna: Die Hutongszene wächst. Mittlerweile passiert mehr auf chinesischer Initiative. Die chinesische Kunstszene sieht, dass die Hutongs ein nährreiches Biotop sind. Es entstehen aber auch Räume weit außerhalb der Stadt und es ist weiterhin Trend, keinen fixen Raum zu haben, sondern immer wieder in leerstehende Räume oder Galerien zu gehen, da die Preise zum Teil unbezahlbar sind. Das bedeutet aber auch, wer nicht Teil der Kunstszene ist, hört nichts von diesen Projekten.

 

Ich habe auch gesucht … mit Facebook und Google kommt man nicht so weit.

Antonie: Für Leute von außerhalb sind die Räume von internationalen Kuratoren einfach zu finden, aber von Chinesischen wissen sie oft nichts. Es gibt sie, doch sie sind nicht auf Facebook zu finden, sondern auf WeChat.

 

Ist die Ästhetik so anders?

Antonie: Bis vor zwei, drei Jahren haben chinesische Sammler hauptsächlich chinesische Kunst gekauft. Seit der Art Basel Hongkong öffnet sich der Markt. Gerade kauft man auch international, aber dann große Namen und nicht unbedingt junge, internationale Künstler, die in Peking leben. Es gibt trotzdem immer mehr, die hier produzieren.

 

Auf der einen Seite gibt es in China nicht so etablierte, dafür aber auch nicht so eingestaubte Strukturen. Welche Rollen übernehmen darin die freien Kunsträume?

Anna: Viele, deshalb boomt es gerade. Es gibt zwar Strukturen, Museen und Galerien, die teilweise auch zentral liegen und die versuchen, den Kunstdiskurs nach vorne zu bringen. Viele sind jedoch nur Hüllen, deren Inhalt noch fehlt.

 

Ich hatte den Eindruck, dass auch hier viele junge Arbeiten sehr vom Internet beeinflusst sind. Werden durch die Vernetzung die Themen ähnlicher?

Antonie: Visuell unterscheidet es sich nicht mehr so groß, dennoch sind die Themen andere. Die vorherige Generation an Künstlern war stark mit sich selbst beschäftigt und auf den Westen zugespitzt. Jetzt wird das in eine globale Sprache übersetzt und das hat sicher mit dem Internet zu tun.

Anna: Viele renommierte Künstler haben in England oder Amerika studiert. Das heißt natürlich, dass sie das, was sie gelernt haben, zurückbringen. Teilweise wissen sie es nicht, doch China ist furchtbar international.

 

Das heißt, die Kunst wird gleicher?

Antonie: Der Unterschied ist, dass jetzt die gleichen Themen, wie von Künstlern in Berlin oder New York behandelt werden können. Man muss als chinesischer Künstler nicht mehr nur chinesische Themen bearbeiten. Das ist eine positive Entwicklung. Davor waren sie fast ein bisschen darin gefangen, etwas zu machen, das gezwungen kritisch politisch war.

 

Und Post-Internet dominiert den Diskurs?

Antonie: Es ist schon Thema und ein ziemlicher Trend. Es sieht gut aus, verkauft sich gut und das auch außerhalb von China, da es zugänglicher ist. Kunstwerke, die sich mit sozialen Problemen vor Ort auseinandersetzten, brauchen mehr Hintergrundwissen. Die großen Kunstwerke, die davor durch Ausstellungen in Europa gereicht wurden—wie Mahjong oder Ai WeiWei—waren immer recht verständlich.

 

Ihr habt in Zürich und Berlin gelebt. Ist die Projektraumszene vergleichbar mit Peking?

Anna: Viele Strömungen in Peking und Berlin sehr vergleichbar, Themen überschneiden sich.

Antonie: In Berlin bespricht man Einzelheiten, während hier die Gespräche auf einer Makroebene stattfinden: Was ist Kunst? Braucht man Kunst? Warum sollte man einen Non-Profit-Raum haben und was heißt das eigentlich? Das ist ein spannender Diskurs, der in China stattfindet.

 

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