arrow-right

Jüdisch, persisch, vegan

Reportage | Jüdische Allgemeine

Als ich jung war, wollte ich nicht persisch sein«, sagt Hila Zakaim, eine Frau mit großen dunklen Augen, leicht gekräuseltem Haar und warmer Stimme. Sie hätte lieber Verwandte aus Polen oder Deutschland gehabt. »Auch das Essen mochte ich nicht.« Doch inzwischen hat sie ihre eigene Geschichte zum Geschäftsmodell gemacht. Sie sitzt im Hinterhof ihres Restaurants »Zakaim Boutique«, reicht veganes Schokoladenkonfekt mit Nüssen und Datteln nach dem Rezept ihrer Mutter. Experimentelle Fusion-Gerichte wie Sashimi aus Süßkartoffel und Avocado oder geröstetes Pilz-Schawarma stehen ebenfalls auf der Karte.

Die »Boutique« ist das erste rein vegane Restaurant Tel Avivs, geführt von den Geschwistern Zakaim. Vor drei Jahren war Hila noch als Maklerin tätig, jetzt leitet sie das Lokal mit 40 Mitarbeitern. Der Familienbetrieb floriert, doch bis dahin war es ein langer Weg.

HERKUNFT Aufgewachsen sind Hila und ihre Geschwister in der Mittelmeerstadt Aschdod in einer persischen Familie. »Israel liegt zwar im Nahen Osten, doch unsere Kultur ist mehr mit Europa verbunden als mit dem Orient«, erzählt Hila. »In Israel ist Persisch exotisch.« In der Schule wurde sie dadurch zur Außenseiterin, andere Kinder machten Witze über ihre Herkunft. Aus Desinteresse wurde Scham. Alles, was mit dem Iran zu tun hatte, mied Hila fortan.

Hilas Eltern hatten nach der Islamischen Revolution die Chance zur Alija genutzt. Wie viele andere persische Juden flüchteten sie vor der verschärften Politik des Ayatollah-Regimes. Nach 1979 stieg die Anzahl der Iraner in Israel von etwa 20.000 bis 30.000 im Jahr 1948 bis auf 250.000 an. Damit stellen sie einen kleinen Teil der (meist arabischen) 1,6 Millionen Sefarden dar, die im Land leben.

 PÄSSE Bei der Ausreise mussten Hilas Eltern ihre iranischen Pässe abgeben, doch auch in Israel fühlten sie sich nicht willkommen. »Wenn du aus der Türkei, Marokko oder dem Iran kamst, wurdest du als Bürger zweiter Klasse angesehen«, sagt Hila. Viele der iranischstämmigen Migranten und ihre Kinder arbeiten im Dienstleistungssektor. Durch gute Bildungsabschlüsse hat sich ihre ökonomische Situation über die Jahre verbessert. Die Karriere von Hila und ihren Geschwistern ist auch eine klassische Aufsteigergeschichte der ersten iranisch-israelischen Generation.

»Mit dem Essen gebe ich ein Stück von mir selbst: Ein Teil ist Tel Aviv, ein Teil meine Kindheit und ein Teil meine persischen Wurzeln«, sagt ihr Bruder Harel. Die Geschwister verbinden ihre Herkunft geschickt mit einem globalen Trend: veganer Lifestyle mit persischen Einflüssen. »Traditionell kochen die Zakaims zwar nicht, doch sie bedienen eine Nische, mit der sie gerade junge, gut verdienende Israelis ansprechen«, sagt der Soziologe Rafi Grosglik von der Brandeis-Universität, der die kulturellen Auswirkungen der Globalisierung erforscht.

LEBENSSTIL Die Idee für das vegane Restaurant hatte die Fotografiestudentin Hani Zakaim vor vier Jahren. Nachdem sie auf einer Lesung des Tieraktivisten Gary Yurovsky war – der die Fleischindustrie für »Tiersklaverei« hält –, änderte sie ihren Lebensstil. Sie wollte den Veganismus auf ihre Art weitertragen. Da kam ihr die Idee, ein Restaurant zu eröffnen. Die Schwestern flogen nach Berlin, um sich Anregungen zu holen. Fast zeitgleich stellte Harel, der als Koch und Metzger arbeitete, fest, dass er kein Fleisch mehr zubereiten wollte. »Von Tag zu Tag fiel mir die Arbeit schwerer«, sagt er.

Sie suchten erfolglos, bis Hila an einer verlassenen Bar vorbeilief. Bis vor einiger Zeit war darin Tel Avivs letzte lesbische Bar beheimatet. Sie rief beim Vermieter an, die Räume standen frei. Hani und Harel waren dagegen. Der Laden sei zu teuer und zu heruntergekommen. Doch die Lage war gut: in einer Nebenstraße 300 Meter vom Rothschild-Boulevard entfernt. Hila wusste, dass das ihre Chance war. Sie verhandelten mit dem Vermieter, kündigten ihre Jobs. Einen Monat später hatten sie den Schlüssel in der Hand. In drei Monaten wollten sie es schaffen.

ERFOLG »Mein Bruder und meine Schwester sind Träumer. Mein Job war es, den Traum in die Realität umzusetzen«, sagt Hila. Sie öffnet auf Facebook einen Ordner mit Fotos. »Das ist die Bar, die haben wir gebaut.« Auf einem Bild sind die Schwestern zu sehen, wie sie einen Ziegel auf den anderen setzen. Was vor drei Jahren noch dunkel verschmierte Fenster waren, ziert mittlerweile eine Bordüre aus weißer Omaspitze. Dahinter locken pralle Tomaten, die als dekorative Zutaten aufgereiht sind.

Die Zeit bis zur Eröffnung im April 2013 war knapp bemessen und der Druck hoch. Viele Zeitungen hatten im Vorfeld berichtet, doch es lief holprig an. Bestelltes Essen wurde an andere Tische geliefert, es wurde falsch abgerechnet. Vor allem das erste Jahr war chaotisch. »Es war schwer, wir zerstritten uns«, sagt Hila. Die Geschwister waren überfordert, sprachen nicht miteinander – bis sich Hani durchsetzte und sie zusammen eine Therapie machten. Ein Jahr lang waren sie jede Woche in einer Sitzung. Dann kam auch der Erfolg. Im vergangenen Jahr wurde Harel als israelischer Koch zur Expo nach Mailand eingeladen.

Hila nimmt ein Stück Schokolade, beißt ab. »Das ist eine Erinnerung für mich«, sagt sie. »Als ich nach langer Zeit wieder persisch aß, hatte ich Tränen in den Augen.« Als sie das Restaurant eröffneten, hatten sie bewusst Lieder auf Farsi in der Playlist und persische Gerichte auf der Karte. Essen hat die Geschwister zusammengebracht, ihr Restaurant hat sie mit ihrer Herkunft versöhnt. In den Iran reisen können sie als Israelis zwar nicht – dafür haben sie sich mitten in Tel Aviv ein Stück neue Heimat geschaffen.